Das „Recht auf Vergessenwerden“

Rechtsanwaltskanzlei Hennig M.B.L.

EXZELLENTE RECHTSBERATUNG AUS DRESDEN.

Vertrauen Sie uns:

In seinem Urteil vom 13.05.2014 – C 131/12 – hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) entschieden, dass jeder EU Bürger auch im Internet ein „Recht auf Vergessenwerden“ hat und zur Durchsetzung dieses Rechts die Löschung einzelner Links aus den Ergebnislisten einer Suchmaschine von deren Betreiber verlangen kann.

 

I. Das Urteil


Das Urteil des EuGH erging zur Beantwortung der Vorlagefrage eines spanischen Gerichts, das über die Klage von Google Inc. und Google Spain SL gegen die Entscheidung der spanischen Datenschutzbehörde, in der die Datenschutzbehörde einer Beschwerde stattgegeben und Google Inc. angewiesen hat, zwei Links zu Zeitungsartikeln, in denen über die Zwangsversteigerung des Hauses des Beschwerdeführers unter Nennung seines Namens berichtet wurde, aus den Suchergebnissen für den Namen des Beschwerdeführers zu löschen.

Grundlage dafür sollte die auch ins spanische Recht umgesetzte Richtlinie 95/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. Oktober 1995 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr sein. Der EuGH hatte sowohl über Fragen des räumlichen als auch des sachlichen Anwendungsbereiches der Richtlinie zu entscheiden.

Räumlicher Anwendungsbereich

Die Frage, ob überhaupt der räumliche Anwendungsbereich der Richtlinie eröffnet war, stellte sich aufgrund der Unternehmensstruktur von Google. Die Muttergesellschaft Google Inc., die ihren Sitz in den USA hat, übernimmt sowohl die Indexierung der Internetseiten, damit diese dann den entsprechenden Suchbegriffen zugeordnet werden können, als auch die Bearbeitung der eigentlichen Suchanfragen der Nutzer. Die in anderen Ländern tätigen Tochtergesellschaften, zu denen auch Google Spain SL zählt, dienen lediglich der Vermarktung der Werbeflächen auf google.com. Der EuGH sah in der Vermarktung der Werbeflächen, die über Google AdWords auch direkt mit der Suchanfrage verbunden sind, eine so enge Beziehung zu der Indexierung der Internetseiten und Bearbeitung von Suchanfragen, dass die Bearbeitung personenbezogener Daten durch die Indexierung und Bearbeitung der Suchanfragen auch im Rahmen der Tätigkeit von Google Spain SL erfolgt. Dabei sei vor allem zu beachten, dass die Werbetätigkeit Grundlage für das rentable Betreiben der Suchmaschine darstellt und es sich nicht mit dem Ziel der Richtlinie, einen möglichst umfassenden Schutz der Rechte eines Betroffenen bei der Verarbeitung seiner personenbezogenen Daten zu gewährleisten, vereinbaren lasse, wenn durch die bloße Auslagerung der technischen Datenverarbeitung außerhalb der Grenzen der EU, wenn gleichzeitig die wirtschaftliche Grundlage innerhalb der EU verbleibt, die Anwendung der Richtlinie umgangen werden kann.

Verarbeitung von Daten

Der EuGH hat die Tätigkeit eines Suchmaschinenbetreibers, die Indexierung der Internetseiten und deren Wiedergabe in zu den verwendeten Suchbegriffen passenden Ergebnislisten auch als Verarbeitung personenbezogener Daten und den Suchmaschinenbetreiber als „Verantwortlichen“ i.S.d. Richtlinie gesehen. Die Indexierung und anschließende Wiedergabe in Ergebnislisten sei als Organisation der bereits vorhandenen personenbezogenen Daten zu sehen, durch die dem Internetnutzer häufig der Zugang zu den Informationen überhaupt erst ermöglicht wird. Zudem sei es bei einer Suche nach dem Namen einer Person durch die bereits strukturierte Wiedergabe sämtlicher zu dieser Person vorhandenen Informationen besonders einfach ein zum Teil sehr genaues Profil der betreffenden Person zu erstellen. Durch diese Organisation und Konzentration der Informationen zu einer Person sei deshalb ein erheblicher Eingriff in die Grundrechte auf Achtung des Privatlebens und Schutz personenbezogener Daten, der über den durch die bloße Veröffentlichung der personenbezogenen Daten erfolgten Eingriff sogar hinaus geht, möglich.

Löschung rechtmäßig veröffentlichter Inhalte

Der EuGH hat deutlich gemacht, dass ein Löschungsanspruch unabhängig davon besteht, dass der Betroffene gleichzeitig gegen die Veröffentlichung als solche vorgeht oder überhaupt vorgehen kann. Ein gleichzeitiges Vorgehen gegen die Veröffentlichung könne schon deshalb nicht gefordert werden, weil die für die Veröffentlichung Verantwortlichen nicht immer dem Unionsrecht unterliegen. Zudem führe der Umstand, dass durch die Wiedergabe eines Links in der Ergebnisliste zu einer Suchanfrage sogar ein schwererer Eingriff als in der Veröffentlich selbst bewirkt werden kann, dazu, dass selbst rechtmäßig erfolgte Veröffentlichungen in manchen Fällen von den Ergebnislisten einer Suchanfrage auszunehmen seien.

Grundrechte des Betroffenen überwiegen

Dabei müsse grundsätzlich eine Abwägung zwischen den unterschiedlichen Interessen erfolgen. Dabei überwiegen die Grundrechte des Betroffenen regelmäßig das Informationsinteresse der Internetnutzer. Dies sei nur dann nicht der Fall, wenn besondere Umstände, wie die Rolle der betroffenen Person im öffentlichen Leben, hinzutreten. Das wirtschaftliche Interesse des Suchmaschinenbetreibers sei angesichts der Schwere des Eingriffs hingegen grundsätzlich nachrangig.
Auch muss der Betroffene nicht geltend machen, dass ihm durch die Einbeziehung der personenbezogenen Daten in die Ergebnisliste ein Schaden entsteht.

II. Umsetzung des Urteils


Betroffene finden Antragsformular bei Google

Google hat als erste Maßnahme bereits ein Antragsformular, mit dem Betroffene die Löschung einzelner Links aus den Ergebnislisten beantragen können, bereitgestellt. Dabei soll jeder Antrag individuell geprüft werden. Auch will Google nach eigenen Angaben „eng mit Datenschutzbehörden und anderen Stellen zusammenarbeiten“ um die Mechanismen für die Prüfung der Anträge zu verbessern.

Zum Antragsformular von Google

Bundesregierung plant Schlichtungsstelle

Die Bundesregierung plant zudem eine Schlichtungsstelle, die Betroffenen bei der Durchsetzung ihrer Löschansprüche helfen soll, einzurichten. Ferner sollen nun möglichst schnell Regeln dafür aufgestellt werden, wann eine Löschung erfolgen muss, da diese Entscheidung nicht allein in der Hand der Suchmaschinenbetreiber liegen dürfe.

III. Bedeutung für Betroffene


Durchsetzung für Betroffene schwierig

Das Urteil scheint für diejenigen, die den Zugang zu unliebsamen Inhalten über sie verhindern wollen und keine Personen des öffentlichen Lebens sind, zunächst sehr positiv. Immerhin überwiegen ja die Grundrechte des Betroffenen laut dem EuGH grundsätzlich das Informationsinteresse der Internetnutzer, sofern nicht besondere Umstände hinzutreten. So scheint es nun endlich möglich die vor vielen Jahren unbedacht ins Netz gestellten Bilder oder eine lange zurückliegende Medienberichterstattung endgültigen aus dem kollektiven Bewusstsein zu entfernen. Die Durchsetzung des „Rechts auf Vergessenwerden“ dürfte sich in der Praxis allerdings bestenfalls als schwierig, eher als unmöglich erweisen.

Informationsinteresse der Internetnutzer übrwiegt

Zunächst ist festzuhalten, dass der EuGH die Voraussetzungen dafür, dass das Informationsinteresse der Internetnutzer doch überwiegt praktisch nicht konkretisiert hat. Er hat lediglich drei Kriterien für die Annahme eines besonders gelagerten Falls genannt. Dazu gehören neben dem besonderen Interesse der Öffentlichkeit am Zugang zu der Information, das wohl vor allem dadurch bestimmt wird, inwieweit die betroffenen Person als Person des öffentlichen Lebens anzusehen ist, auch die Art der Information und deren Sensibilität für das Privatleben der betroffenen Person. Wie weit Google diese Ausnahmen auslegt bleibt abzuwarten. Ob Googles Auslegung letztlich im Sinne des EuGH ist, werden dann wohl nur sehr lange Gerichtsverfahren klären können. Auch die von der Bundesregierung geplanten Regeln werden daran nichts ändern können, da auch sie, angesichts der Vielzahl und Individualität der hier denkbaren Einzelfälle, zwangsläufig einen erheblichen Auslegungsspielraum haben müssen und allenfalls weitere, wiederum auslegungsbedürfte, Kriterien für die Abwägung enthalten werden.

Auswirkung des Urteils auf andere Suchmaschinenbetreiber

Als noch deutlich problematischer erweist sich der Umstand, dass Google zwar der bekannteste und am häufigsten benutzte, jedoch keinesfalls der einzige Suchmaschinenbetreiber ist. Während Google einige in der EU ansässige Tochtergesellschaften hat, dürfte das bei vielen kleineren Suchmaschinenbetreibern nicht der Fall sein. Ohne Sitz oder Niederlassung in der EU sind diese aber auch nicht dem Unionsrecht unterworfen und daher auch nicht zur Löschung der Einträge aus den Suchergebnissen verpflichtet.

Löschung aus dem Index der Suchmaschine – trotzdem ist die Information weiter verfügbar

Hinzu kommt, dass die Informationen auch nach der Löschung der Links aus den Suchergebnissen immer noch vorhanden sind. Sie sind also über Links auf anderen Internetseiten oder durch das direkte aufrufen der Seite weiterhin erreichbar. Zudem können nur spezifische Internetseiten, nicht aber ihr Inhalt, aus den Suchergebnissen gelöscht werden. Werden die Informationen auf einer neuen Seite zugänglich gemacht, tauchen sie auch wieder in allen Suchmaschinen auf.

Datenschützer begrüßen Urteil – trügerisches Gefühl der Sicherheit

Im Ergebnis vermittelt das vom EuGH in seinem von vielen Datenschützern begrüßten Urteil auch für das Internet angenommene „Recht auf Vergessenwerden“ daher bestenfalls ein trügerisches Gefühl der Sicherheit, wenn die Suchmaschinenbetreiber den Anträgen auf Löschung anstandslos stattgeben. Sehr viel häufiger wird es wohl zu erheblichem Aufwand und zusätzlichem Ärger für den Betroffenen bei der letztlich erfolglosen Durchsetzung seines „Rechts auf Vergessenwerden“ führen. Spätestens wenn der Betroffene nach einigen Jahren erneut die Suchergebnisse für seinen Namen ansieht oder eine unbekanntere Suchmaschine nutzt wird er ernüchtert feststellen, dass das Internet nicht angefangen hat zu vergessen, nur weil die Richter in Luxemburg jedem EU Bürger ein Recht darauf eingeräumt haben. Es braucht nun allenfalls etwas mehr Zeit oder Aufwand, bis es sich erinnert.

Rechtsanwaltskanzlei Hennig
Rechtsanwalt Gernot Hennig, M.B.L.
Fischhausstr. 15 b
01099 Dresden